Deutsche Version (English Version below)
Franziska Furter
Ich taumeltürme
27. August bis 8. Oktober 2016
Eröffnung: Freitag, 26. August 2016, von 18 bis 21 Uhr
Wir freuen uns sehr, Ihnen neue Arbeiten von Franziska Furter (*1972 in Zürich) in ihrer dritten
Einzelausstellung in unserer Galerie zu präsentieren.
Der Titel der Ausstellung ist ungewöhnlich für Franziska Furter, bezieht er doch die Künstlerin als
Subjekt mit ein. Der ungewöhnliche Titel folgt aber einer oft benutzten Strategie der Künstlerin, die
Bezeichnungen einer oder mehrerer der in der Ausstellung gezeigten Werkgruppen für den Titel der
gesamten Ausstellung zu übernehmen. Und so ist es: Eine der drei neuen Werkgruppen heisst „Ich
taumeltürme“. Der Titel verblüfft, da man das darin enthaltene Verb nicht einordnen kann. Was
bedeutet „taumeltürmen“? Woher stammt diese Wortfindung? Welche Assoziationen weckt das
Wort? Die Künstlerin entlehnte das Verb „Taumeltürmen“ einem Gedicht von Kurt Schwitters, das
1919 in der von Herwarth Walden herausgegebenen Monatsschrift Sturm veröffentlicht wurde:
Ich werde gegangen
Ich taumeltürme
welkes windes Blatt
Häuser augen Menschen Klippen
schmiege Taumel Wind
Menschen steinen Häuser Klippen
Taumeltürme blutes Blatt
Die Unmittelbarkeit dieser dadaistischen Aneinanderreihung von Worten, deren semantische
Sinnlosigkeit etwas erahnen lässt, aber nicht klar benennt, faszinierte Franziska Furter. „Ich
taumeltürme“ eröffnet Möglichkeiten, lässt eine schnelle Vorstellung zu, was das Verb bedeuten
könnte, ohne dass sich die Bedeutung konkretisieren würde. Im ersten Raum verteilte Franziska
Furter eine Gruppe von Zeichnungen, die – ähnlich wie das Gedicht von Schwitters – Assoziationen
wecken, diese dem Publikum aber gleichzeitig wieder entziehen. Es lassen sich einige Variationen
von Zeichnungen unterscheiden. Einerseits schwingen in den Zeichnungen frühere Werkgruppen,
Zeichnungsserien oder skulpturale Arbeiten von Franziska Furter nach, andererseits beruhen sie auf
neuen Bildideen, die auf Zukünftiges verweisen, zum Beispiel mit Stempeln geschaffene
Schriftüberlagerungen oder angedeutete japanische Schiebetüren, sogenannten Shoji, wie sie
Franziska Furter während ihrem dreimonatigen Studienaufenthalt in Tokyo begegnet sind. Die
Wimpelzeichnungen nehmen klar Bezug auf ihre grossen Wimpel-Anordnungen. Oft geben die
Zeichnungen Naturphänomene wieder, wie zum Beispiel Regen oder Wind, die ebenfalls an frühere
Werkgruppen, wie die Vision- oder Drafts-Zeichnungen erinnern. Die Gruppe Ich taumeltürme
besitzt im Gesamtwerk von Franziska Furter eine Sonderstellung: Sie kann als Scharnier betrachtet
werden, die „taumeltürmerisch“ in die Vergangenheit schaut und gleichzeitig in die Zukunft weist.
Im mittleren Raum der Galerie steht ein großer Holztisch, auf dem sich 33 kleine Porzellanfiguren
tummeln. Die Beschäftigung mit Keramik ist auf Franziska Furters Aufenthalt in Japan im Frühjahr
2016 zurückzuführen – fasziniert von den einzigartigen Darstellungen japanischer Gottheiten,
Dämonen und mythologischen Figuren, fing sie an zu modellieren. So entstanden handgrosse
Figuren aus Porzellan, welche an Gespenster, Geister und kleine Wesen erinnern. Folgerichtig nennt
Franziska Furter die Werkgruppe Gespenster. Oft entziehen sich die Gestalten, ähnlich wie das
Gedicht von Schwitters, der klaren Positionierung. Sie scheinen in steter Bewegung zu sein. Dieser
Eindruck wird durch die schimmernde Oberflächenglasur noch verstärkt. Die Figuren sind aus dem
Material heraus geformt und besitzen eine grosse haptische Qualität. Die ersten Keramiken sind
blind entstanden und befolgen in humorvoller Anspielung eine Aussage von Michelangelo, dass die
Idee bereits in einem schlummere und man bloss den restlichen Stein wegschlagen müsse. Die
kleinen Gespenster entwickeln auf dem nüchternen Holztisch ein Eigenleben. Sie formieren sich zu
Gruppen und enthüllen in der vergleichenden Betrachtung ihre Vielfalt.
An den Wänden um den Tisch herum hängen sechs ungerahmte Zeichnungen aus der Serie der
Vision Cloud. Diese Serie entsteht seit 2015 In Anlehnung an die Serie der Vision aus dem Jahr
2008, welche Visualisierungen von Halluzinationen, Übergänge von einer Welt in die andere und
Visionen aus Comics und Mangas festhielt. Die Arbeiten der Vision Cloud-Serie besitzen eine
persönlichere Note als die Visions, da sie auf eigenen Beobachtungen von Franziska Furter, aus
„ihrer Cloud“ beruhen: visuelle Verschiebungen im Alltag, aus dem Augenwinkel Gesehenes,
Erinnertes, Visualisierungen von Unsichtbarem (z.B. Verschwinden, Geschwindigkeit, Nebelfelder).
Manchmal fliesst Formales oder Inhaltliches von ihren eigenen älteren Arbeiten oder von Arbeiten
von Künstlern mit ein, welche sie beschäftigen.
Die Ausstellung zeigt einen Einblick in ein Gesamtwerk, das weiterwächst mit einer unaufgeregten
Beständigkeit, mit Humor und Genauigkeit. Innerhalb eines von ihr definierten Systems schafft
Franziska Furter, Arbeiten von Poesie und Eindringlichkeit. Franziska Furter eröffnet in ihren
Ausstellungen den Betrachterinnen und Betrachtern eine Vielfalt von Assoziationen und
Empfindungen.
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
English Version:
Franziska Furter
Ich taumeltürme
27 August to 8 October 2016
Opening reception: Friday, 26 August 2016, from 6 to 9pm
We are very happy to present new works by Franziska Furter (*1972 in Zurich) in her third solo
exhibition in the gallery.
The title of the exhibition is rather unusual for Franziska Furter, as the expression denotes the artist
as an acting subject. The uncommon title though follows a strategy by the artist in choosing titles for
her shows, by referring to one or several groups of works included in the exhibition. And so it is: One
of the three new groups of works is called „Ich taumeltürme“. The title surprises also for another
reason, as one can’t figure out the meaning of the verb. What does „taumeltürmen“ mean? Where
does the verb derive from? Which associations are evocated through the word. The artist borrowed
„taumeltürmen“ from a poem by Kurt Schwitters, published 1919 in the monthly journal Sturm
edited by Herwarth Walden:
Ich werde gegangen (I will gone)
Ich taumeltürme (I taumeltürme / abscondstagger)
welkes windes Blatt (withered windy leaf)
Häuser augen Menschen Klippen (houses eyes men cliff)
schmiege Taumel Wind (nuzzle stagger wind)
Menschen steinen Häuser Klippen (men stone houses cliff)
Taumeltürme blutes Blatt (Taumeltürme blooded leaf)
The immediacy of this Dadaistic sequence of words, whose semantic nonsense adumbrates
something, but is not clearly denoting it, fascinated Franziska Furter. „Ich taumeltürme“ – the
translation into English is nearly impossible, “ich türme” means “I abscond”, taumeln means to
stagger – opens up possibilities, allows a brief vague conception of the meaning of the word,
without that its meaning would concretize itself. In the first room Franziska Furter has
singlehandedly distributed a group of drawings, calling up associations – similar to the poem by
Schwitters – but immediately depriving them from the viewer. Several variations of drawings can be
distinguished: On the one hand some drawings allude to earlier groups of drawings and sculptures,
on the other hand they rely on new ideas for images pointing to future undertakings, as for example
overlaying letterings created with stamps or suggested Japanese sliding doors so called Shoji
encountered by the artist in her three months residency in Tokyo. The pennant drawings refer to her
large pennant installations. Often the drawings depict natural phenomena, as for example rain or
wind referring likewise to earlier groups of works like the Vision- or Drafts-drawings. In Franziska
Furter’s oeuvre the group Ich taumeltürme holds a special position: The group marks a turning point
a hinge, looking „taumeltürmerisch“ into the past by pointing at the same time into the future.
In the middle room of the gallery stands a large wooden table, on which scrimmage 33 small
porcelain figures. Her involvement with porcelain is a result of Franziska Furter’s sojourn in Japan in
spring 2016 – fascinated of the singular depictions of Japanese divinities, demons and mythological
figures. So developed hand-sized figures made out of porcelain recalling ghosts, little creatures.
Therefore Franziska Furter calls this group Ghost. Often these creatures withdraw, similar to the
poem by Schwitters, from an exact positioning. They seem to be in constant movement; an
impression further enhanced by the shimmering glazing. The figures are modelled out of the material
and hold a great haptic quality. The first porcelains developed the artist without looking. She
followed in an humorous allusion a phrase by Michelangelo, that the idea dozes within the artist just
has to strike the stone away. The little ghosts develop on the prosaic table a life of their own. They
form groups and unfold in a comparative viewing their particularities.
On the walls around the table hang six unframed drawings from the series of the Vision Cloud. This
series emerges since 2015. They are related to the Vision series from 2008, visualising
hallucinations, passages from one world to another and visions from comics and Manga books. The
drawings from the Vision Cloud series possess a more personal note than the Visions as they are
based upon Franziska Furter’s own observations from “her Cloud“: visual adjustments from her
daily life seen out of the corner of her eye, for example of things remembered, of things vanishing, of
speed or mist. Sometimes she incorporates something formalistic or substantial from earlier works
of her or from other artist’s work, she engages with.
The show reveals a view of an oeuvre that is constantly growing with unagitated consistency, with
humour and precision. Within a clearly defined system Franziska Furter creates works of great
forcefulness and poetry, offering in her shows to the viewer a variety of associations and emotions.