Zeichnung als ambivalenter Möglichkeitsraum


Franziska Furters Medium ist die Zeichnung. Bisweilen verlässt sie auch sogar schon einmal den gewohnten Rahmen des Zeichengrunds, des Blatt Papiers oder der nackten Wand, und setzt sich in den dreidimensionalen Raum fort.

Im Vordergrund ihres Werks steht nicht das Geschichten-Erzählen, das narrative Moment. Die Frage: „Was möchte der Künstler uns damit sagen?“ ist für sie nicht entscheidend. In ihren Augen ist es zentral, dem Betrachter mit ihrer Kunst nicht ihre eigene Sicht der Dinge oder ihre Doktrin aufzuzwingen. Viel bedeutender sind Material, Struktur, Oberfläche und vor allem die Linie. Das spannungsreiche Funktionieren dieser Elemente mit- oder gegeneinander formen die Kontraste und Bedeutungsebenen ihres Werks. Häufig verwendet Furter dabei minimalistische Gesten und eine reduzierte Farbskala.

Franziska Furter traut ihren Betrachtern viel zu, nimmt ihn als emanzipiertes, notwendiges Gegenüber wahr, von dem sie verlangt, selbst Zugänge und Interpretationen zu finden. Ihre Gestaltungsmittel der Auswahl und der Reduktion sind eine Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner auf zeichnerischer Ebene. Sie hält somit den Anknüpfungspunkt für den Betrachter möglichst klein, um ihn in seiner Werkerfahrung nicht von vornherein zu beschränken. So ist ihre Reduktion keine Beschneidung, sondern eher ein Angebot, ein Zugeständnis an den Betrachter. Sie nimmt ihn Ernst und macht ihn zum essentiellen Teil ihrer Arbeiten.
Ihre Werke kennzeichnet häufig ein „Mut zur Lücke“, zur Leerstelle. Dieser Umstand darf aber nicht als etwas Fehlendes oder Abhandengekommenes verstanden werden, sondern eher als Garantie für einen Interpretations-Freiraum. Furter schafft Platz, meist sogar visuell durch Auslassungen oder ihre reduzierte Formensprache, für den Betrachter und dessen Assoziationen. Die Leerstelle fungiert als Freiraum für den eigenen, individuellen Zugang und die größtmögliche Spannweite für ein Bedeutungsspektrum, dass sich der Betrachter erarbeiten muss. Dennoch versteht sie es, die so enstehenden, möglichen Interpretationen an einen geregelten, aber sanften Rahmen zu binden: nämlich den ihrer Linien. Es ist fast so, als würde Furter die Anführungszeichen eines Aussagesatzes liefern, die der Betrachter mit der eigenen Sprache füllen kann.
Neben der Linie sind der Arbeitsprozess bzw. das Prozesshafte an sich entscheidende Merkmale von Furters Oeuvre. Sie versucht ihren Arbeiten eine Offenheit und ihnen die innewohnende Veränderlichkeit zu erhalten. So zeigt sie ihre installativen Arbeiten nie in identischer Präsentation. Sie verändert die Installationsanordnung, fügt Kleinigkeiten hinzu, nimmt minimale Abweichungen vor wie z.B. bei „Monstera“. Gerade das Medium der Zeichnung in der dreidimensionalen Erscheinung erweist sich ihr dafür ideal. Es bietet die beste Möglichkeit, den Prozess weiterzuführen, zu verändern.
In diesem Zusammenhang steht auch das häufige Zurückgreifen auf die Serie. Immer wieder entwickelt Furter Werkgruppen. Der Gedanke des Offenen, Prozesshaften, Veränderlichen spiegelt sich in den nebeneinander existierenden Blättern wider, ohne den Eindruck des Unabgeschlossenen oder Rudimentären zu hinterlassen. Vielmehr wirken die einzelnen Zeichnungen wie Variationen eines Themas (wie etwa bei der „Draft-Serie“ oder der aktuellen „Corona“-Serie), wie man es aus dem musikalischen Bereich kennt. Spielarten eines Themas: Angebote und Möglichkeiten für unterschiedliche Standpunkte oder Blicke auf einen zentralen Punkt.
Eine weitere Spielart dieser Offenheit kann sich darin äußern, dass der Zeichnung Anfang und Ende fehlen oder zumindest keine erkennen lassen. Auch dies verwendet Franziska Furter als haptisches oder visuelles Kennzeichen, keine bestimmte Interpretationslinie oder festgelegte Narration vorzugeben. Auch hierfür ist die Corona-Serie (2012) ein gutes Beispiel.

Die Suche ist ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil von Franziska Furters Werk, dem z.T. ein relativ langer Herstellungsprozess vorausgeht. Das Ausloten und Ausprobieren von Material, Struktur, Addition und Reduktion von Zeichen und deren aussagekräftigster Kombination kennzeichnen ihre Schaffensphase. Nicht Konzeptlosigkeit, sondern die entschieden dagegen stehende, akribische Bearbeitung und künstlerische Untersuchung des jeweiligen Materials, treiben sie an. Immer auf der Suche nach dem ausgewogenen Spannungsverhältnis zwischen Leere und Gefülltem, die sich gegenseitig erst Bedeutung verleihen.
Dabei steht „die Leere“ für das Innehalten, den Möglichkeitsraum. Diese Auffassung steht mit der taoistischen Philosophie in enger Verbindung.

Franziska Furters Arbeiten wohnt immer eine gewisse Ambivalenz inne. Sie erzeugt ebenfalls Spannung, sei es in der divergierenden Wirkung von verwendetem Material und Wirkung oder Arbeitsweise und Gestalt.
Ihre Arbeiten bestechen durch ihre Subtilität. Leise Töne und Angebote herrschen statt Zwängen vor. Sie sind die erfrischenden Möglichkeiten des Kunstgenusses von Franziska Furter mit einer angenehm klaren, konzentrierten Formensprache in einer immer lauter und aufdringlicher werden Welt des hektischen Alltags und überbordenden Entertainment-Angebots.


Text: Kirsten Eggers (2012)